Aus gut (um nicht zu sagen bestens) unterrichteter Quelle (aus der auch u.a. die Info stammt, dass Farin Urlaub von Die Ärzte in Wirklichkeit doch raucht und säuft) erfuhr ich, dass Nackt unter Kannibalen den Off-Tag in Rostock verbringen würden. Da abends kein Konzert stattfinden sollte, hatte ich also viel Zeit, heraus zu kriegen, in welchem Hotel sie abgestiegen waren. An den Rezeptionen zu fragen konnte ich vergessen, da war offenbar ein Informationsembargo verhängt worden. Also musste ich mich auf Genosse Zufall verlassen.

Ich bestellte mir ein Taxi und ließ mich nacheinander zu den Nobelherbergen der Stadt chauffieren. Aber nirgends war auch nur der Hauch einer Spur von ihnen zu entdecken. Nachdem ich die ganzen teuren Läden abgeklappert hatte, versuchte ich es bei den weniger feudalen Schuppen. Ich konnte mir zwar beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie nicht im ersten Haus am Platz absteigen würden, aber die Realität sprach eine andere Sprache. Sollte doch etwas dran sein an dem Gerücht, dass die Drei nur willenlose Marionetten ihres Managements sind und schamlos ausgenutzt werden? War ich hier sogar noch einem größeren Skandal auf der Spur als ich ursprünglich angenommen hatte?


Dann plötzlich, in einer Abbruchstraße, stand ein Bus. DER Bus! Er parkte vor einem Hotel, aber er gehörte eindeutig zu Nackt unter Kannibalen, wie ich unschwer am hinter der Windschutzscheibe hängenden Tourpass erkennen konnte. Ich hatte sie! Yes!!

Aber in diesem Hotel sollten sie wohnen? Das konnte nur ein Scherz sein! Oder sind die Italiener irgendwie doch etwas anders als die Anderen? Das Hotel trug zwar einen hochtrabenden Namen, aber der konnte nur gekauft oder gar gestohlen sein.

Im Erdgeschoß klafften riesige Löcher in den Wänden, wo wohl einst mal Fenster gewesen waren. Emsige Bauarbeiter (na ja, was man so emsig nennt) bohrten und hämmerten, und die einzige Band, die sich hier wohlfühlen konnte, dürften die Einstürzenden Neubauten sein.


In der Hotelhalle war nichts Verdächtiges zu bemerken. Von der Band weit und breit nichts zu sehen! Ich versuchte es mit der Überrumplungs-Taktik. Mein Job hat mich gelehrt, einfach frech zu sein und so zu tun, als wüsste man Bescheid. Ich fragte also an der Rezeption, ob die Band schon losgegangen sei, ich hätte sie verpasst, und man gab mir arglos die Auskunft, dass sie zum Essen gegangen wären. Von hier war es nur noch ein kleiner Schritt, in Erfahrung zu bringen, in welchem Lokal ich sie finden konnte.
Das Restaurant war ganz in der Nähe und ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich hatte es ja gesagt: in Rostock würde ich mehr Glück haben und mich geschickter anstellen. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht und vorsichtig in das Lokal gespäht, entdeckte ich Security D., der sich am Eingang postiert hatte. Mist! Um nicht zu riskieren, enttarnt zu werden, verzichtete ich lieber darauf, hinein zu gehen und es auf eine mögliche Konfrontation mit ihm ankommen zu lassen.

Aber wenigstens von außen konnte ich ein Foto machen, das Nackt unter Kannibalen zumindest als wahre Gourmets outet.


Um mir nicht wieder ein Duell mit dem Busfahrer zu liefern, verzichtete ich darauf, ihm zu folgen. Ich wusste ja, wohin er fahren würde. Also parkte ich meinen Wagen vor dem Hotel und behielt den Eingang im Auge. Nach einer Weile tauchte der Bus auf, die Band ging ins Hotel, und jetzt musste ich, wie fast immer in meinem Job, Geduld haben.

Keine sieben Stunden später kam die Band mit D. wieder heraus, stieg in den Bus und fuhr los. Ich musste dicht dran bleiben, um mich nicht an roten Ampeln abhängen zu lassen. Der Busfahrer schöpfte aber offenbar keinen Verdacht, da noch jede Menge Verkehr herrschte und ich nicht auffiel. Merkwürdigerweise hielt der Bus vor dem Mau Club. Hää? Hier sollte doch erst morgen das Konzert stattfinden. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Von drinnen drang Lärm nach außen. Entweder fand dort ein Konzert statt, oder jemand spielte brüllend laut CDs. Dann erst entdeckte ich das Plakat am Eingang: Diary of Dreams gaben hier ein Konzert. Diary of Dreams? Nie gehört. Ein Blick in mein schlaues Buch verriet mir, dass es sich dabei um eine deutsche Gothic-Band handelte. Ach herrje, da konnte ich ja schlecht in Bundfaltenhose und Trenchcoat hinein gehen. Wie gut, dass ich meinen Verkleide-Koffer dabei hatte.

Kurze Zeit später betrat ich kreuzbehangen, schwarz gewandet, bleich geschminkt und mit wild toupierten Haaren den Club. Auf der Bühne standen vier leicht verloren wirkende Leute, die bedeutungsschwanger mit wenig Licht und viel Düsternis ihre Musik zelebrierten. Aber deshalb war ich ja nicht hier!

Ich brauchte einen Moment, bis sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, und dann machte ich tatsächlich die Konturen von Nackt unter Kannibalen aus, die sich unter das Publikum vor der Bühne gemischt hatten. Hier konnte ich in aller Ruhe unbehelligt von irgendwelchen Ordnern fotografieren. Dass es mir dabei weniger um die Band auf der Bühne als um die Band davor ging, bemerkte ja niemand!

Scharfe Fotos sprangen dabei zwar nicht heraus, aber dafür ist das hier ja schon fast so etwas wie ein Privatfoto. Kurze Zeit später verschwanden sie allerdings mit ein paar Angestellten des Clubs, mit denen sie wie mit uralten Freunden umgingen (besonders Security D. schien sich hier ausgesprochen wohl zu fühlen und viele neue Freundschaften zu schließen), in einem Raum, in den ich mich dann leider nicht mogeln konnte. Was da passierte, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Ich gehe mal davon aus, dass da Drogen im Spiel waren.

Leider musste ich wie die anderen Besucher bald darauf den Club verlassen, weil das Konzert zu Ende war und der Laden geräumt wurde. Draußen empfing mich ein Schneegestöber (im März!!!) und ich zog es vor, in mein Hotel zu fahren, statt hier auszuharren und mir eine Lungenentzündung zu holen. Da konnte ich es mir nicht leisten, krank zu werden, denn schließlich habe ich die Pflicht, euch über die Wahrheit zu informieren. Und das werde ich. Versprochen. Nur eben noch nicht heute.